Bedeutung der Anatomie und des Sezierkurses - MEDICUS 2/08

Vor den Feiertagen wurde ich gebeten, einen Beitrag über die Anatomie und den Sezierkurs für den Medicus zu verfassen. Es ist eine gute Idee, sich gerade jetzt mit dem eigenen Tun und Handeln auseinanderzusetzen, das sich an den augenscheinlichen Veränderungen des Gebäudes sehr gut aufzeigen lässt.

Im Department Anatomie, Histologie und Embryologie haben in den vergangenen Jahren weitreichende Umbauarbeiten am und im Gebäude sowie Umstrukturierungen im Lehr- und Forschungsbetrieb stattgefunden. Während diese Neuerungen über die neue Internetseite (www.anatomie-innsbruck.at) verbreitet werden, sind sie, wenn man das Departmentgebäude von außen betrachtet, bis auf wenige Spuren nicht sichtbar. Betritt man das Haus allerdings durch einen der zahlreichen Eingänge, so trifft man unweigerlich auf die Veränderungen, die sich in hellen, lichtdurchfluteten Fluren ankündigen. Dies sind die ersten Spuren der gelungen Mischung aus moderner, sachlicher Innenarchitektur und traditionellem, denkmalgeschütztem Universitätsgebäude. Hinter den Türen der Labore, Arbeitszimmer und Unterrichtsräume verbergen sich viele weitere Neuerungen in dieser bewährten Mischung.

Besonders hervorzuheben ist die Renovierung der Seziersäle. Im mittleren Saal wurde eine neue Abluft und Beleuchtung installiert, die den großen Saal nicht nur hell und freundlich gestalten, sondern auch die Arbeitsbedingungen wesentlich verbessern. Die Umbaumaßnahmen wurden mit Unterstützung von Rektorat, zuständigem Facility Management und BIG im Eiltempo durchgeführt und werden ab 2008 in den anderen Sälen fortgesetzt. Dann ist ein optimales Arbeiten für Studierende und Lehrende in den Sezierkursen gewährleistet. Weitere, deutliche Verbesserungen für den Lehrbetrieb werden durch die Errichtung von Umkleiden für die Studierenden sowie der Einrichtung eines Lernzentrums „Anatomie“, das mit verschiedensten Lehr- und Lernmaterialen u.a. computergesteuerten Programmen ausgestattet wird, erreicht. Auf der gleichen Ebene wie die studentischen Unterrichtsräume findet sich ein modern ausgestatteter, experimenteller Seziersaal oder „cadaver lab“, in dem regelmäßige Lehr- und Trainingskurse an Präparaten für ÄrztInnen in operativen Fachgebieten abgehalten werden. Das Interesse und der Bedarf an solchen Kursen ist enorm groß, was darin begründet liegt, dass die Ausbildung in der makroskopischen Anatomie während des Studiums reduziert wurde und dass viele makroskopischen Details erst vom Spezialisten wichtig- und wahrgenommen werden können. Für die AnatomInnen sind solche Veranstaltungen bereichernd  um klinisch relevante Dinge hieraus in den studentischen Unterricht übertragen können.Im ersten Stock verbergen sich hinter der Türen der anatomischen Sektion die Arbeitszimmer und Labore, deren Umbau z.Zt. noch fortschreitet, mit dem Ziel, diese nicht nur funktionell zu adaptieren, sondern auch Platz für DioplomandInnen und DissertantInnen zu schaffen.

Bei Betrachtung all dieser baulichen Aktivitäten stellt sich die Frage, ob dies nur Fassade ist, oder ob sich auch inhaltlich Neues verbirgt? Ja und Nein! Dieses Ja und Nein gilt für beides: Lehre und Forschung in der Anatomie.
In Bezug auf die Lehre ist festzuhalten, dass wir die Rahmenbedingungen für die Studierenden stetig verbessern, die Ausbildung der Lehrenden und die Verankerung und Durchführung von nunmehr „wieder“ zwei „Sezierkursen“. Die AnatomInnen in Innsbruck nutzen die Chance aus der jüngsten Studienplanänderung, den StudienanfängerInnen bereits im ersten Semester makroskopisches Basiswissen im Bewegungssystem zu vermitteln und dies direkt am Präparat umzusetzen. Im  dritten Semester wird dies für die Inneren Organsysteme und das Nervensystem im topographischen Sezierkurs fortgeführt und vervollständigt. Hierbei ist uns als Lehrenden allen klar, dass wir Prioritäten setzen müssen und nur in der Umsetzung einer klugen Mischung aus: -„Bewährtes“ bewahren, „nicht Relevantes“ ausklammern, „klinische Anwendbarkeit“ voraussetzen - die Studierenden und damit die zukünftigen ÄrztInnen zeitgemäß ausbilden. Ich bin sicher, dass der Unterricht in der makroskopischen Anatomie an die Gegebenheiten des 21. Jahrhundert angepasst und auf die modernen Erfordernisse in den verschiedenen Bereichen der Medizin, die durch hochauflösende Bildgebung durchdrungen sind, optimal eingestellt ist. Sie darf und kann in keiner Weise durch neue Medien ersetzt werden.   Dies zeigen uns die Studierenden selbst auf, wenn sie in den während des topographischen Kurses angefertigten Portfolios diesen (unaufgefordert) positiv evaluieren. Aus der anatomischen Gesellschaft gibt es hierzu offizielle Umfrageergebnisse, die belegen, dass für die klinische Ausbildung neben einigen wenigen klinischen Praktika der makroskopischen Anatomiekurs ganz oben rangiert (Pabst und Rothötter 1996). Ebenfalls hoch zu werten sind die Gruppenarbeiten in den Kursen, sowie die freiwilligen Veranstaltungen, die im begleitenden Ethikseminar angeboten werden. Somit werden in den Sezierkursen in vielfacher Weise Grundlagen für ärztliches Handeln gelegt, sei es hinsichtlich manueller, kognitiver, sozialer oder auch ethischer Aspekte. Die Anatomie ist und bleibt ein zentrales Fach in der Ausbildung von MedizinerInnen.Was verbirgt sich hinter den Umbauten an Neuerungen für die Forschung?
Hier werden die Laborflächen zu Lasten von Prosekturen erweitert. Traditionell haben die Innsbrucker AnatomInnen eine gute Zusammenarbeit mit Klinikern. Häufig beschränkten und beschränken sich die gemeinsamen Untersuchungen auf reine Strukturforschung. Ebenso, wie es für die Studierenden nicht ausreicht, Strukturen ohne den Zusammenhang zu Funktionen zu lernen, ist es für anatomische Grundlagenforschung oder die angewandte (klinische) Forschung notwendig, den Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion erklären zu können. Hierzu reicht makroskopische Präparationstechnik nun einmal nicht aus, vielmehr müssen viele „morphologische“ Methoden, die ein breites Spektrum von mikroskopischen Techniken bis hin zu molekularbiologischen Methoden umfassen, eingesetzt werden können. Für die Erweiterung der vorhandenen Methoden sowie die Erneuerung vorhandener, klassischer morphologischer Methoden leistet die Sektion Klinisch Funktionelle Anatomie ebenso wie die anderen Sektionen des Departments einen aktiven Beitrag. Damit sind die Voraussetzungen für (klinisch) relevante und funktionelle Strukturforschung geschaffen und wir können neben dem „Standbein“ Lehre das ebenso wichtige „Schwungbein“ Forschung beweglich halten und in interdiszplinärer (klinischer) Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen Disziplinen kommen.Einen wesentlichen Beitrag leisten wir hierbei mit der Ausrichtung der Jahresversammlung der Anatomischen Gesellschaft von 14. – 17.03.2008, bei der die auf diesem Kongress üblichen Hauptthemen von den Sektionen Klinisch Funktionelle Anatomie und Neuroanatomie gestellt werden und hierzu hochrangige, internationale ReferentInnen gewonnen werden konnten. Das Themenspektrum in der Anatomischen Gesellschaft ist insgesamt sehr breit und reicht von Makroskopie bis in die Zell- und Molekularbiologie. Aus den Forschungsthemen wird ebenso wie aus den Aktivitäten der anatomischen Sektionen deutlich, dass zwischen den Erkenntnissen und der Lehre in der makroskopischen Anatomie und der wissenschaftlichen Zukunftsfindung über moderne zellbiologische Methoden kein Widerspruch besteht.
 
O.Univ. Prof. Dr. Helga Fritsch
Literatur Pabst R, Rothkötter HJ (1996) Was Ärzte rückblickend von ihrer Ausbildung halten. Deutsches Ärzteblatt – Ärztliche Mitteilungen 93, 451 - 452